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Von Hitchcock lernen
Film

29.05.2006

Schon 1992 habe ich diesen, in der Zwischenzeit einmal etwas überarbeiteten Text, „Von Hitchcock lernen“ an die Filmfördergremien versandt. Ich verstehe immer noch nicht, warum sich diese Gremien und die Filmproduzenten nicht diesem Wettbewerb stellen. Es könnte doch sein, dass die Förderung eines professionellen Filmbildentwurfs wirklich zu künstlerisch und wirtschaftlich erfolgreicheren Filmen führt? Prof. Toni Lüdi Mai, 2006


Von Hitchcock lernen.


Das Ergebnis zwanzigjähriger Filmförderung ist, was den internationalen Erfolg un-serer Filme angeht, derart enttäuschend, dass alle Beteiligten sich fragen lassen müssen, ob es Sinn macht, so weiterzumachen? Es soll nicht bestritten werden, dass viele versuchen, dem Film zu helfen. An gutem Willen scheint es nicht zu lie-gen. Was fehlt ist eine von genauer Kenntnis der Produktion getragene Analyse.

"Wenn nicht alle Filme wirklich einwandfrei sind, dann liegt das daran, dass es in unserer Industrie zu viele Leute gibt, die nichts von der Bildsprache verstehen." (Hitchcock zitiert aus "Mr. Hitchcock, wie haben Sie das gemacht" S. 258)

"In den meisten Filmen ist sehr wenig Kino. Ich nenne das Fotografien von redenden Leuten. Wenn man im Kino eine Geschichte erzählt, sollte man nur den Dialog verwenden, wenn es anders nicht geht. Ich suche immer zunächst nach der filmischen Weise, eine Geschichte zu erzählen" (e.d. S.53)

Diese zwei Zitate weisen auf das Wesen des Films hin. Filme sind in erster Linie visuelle Werke und müssen ihre Geschichten über das Bild erzählen.

Filmwerke sind komplexe Produkte, zu denen immer verschiedene Künstler beitragen. Wichtig sind alle die Bereiche, die Einfluss haben auf das sinnlich wahrnehmbare Endprodukt. Am wichtigsten wohl die Schauspieler. Große Schauspieler und Schauspielerinnen haben es verdient, dass wir ihnen unseren Respekt bezeugen. Ein Film entsteht in der Regel zunächst in Form eines Textes, eines Drehbuches. Dieses Textwerk will auf die "Silver Screen" übertragen werden. Zur Umsetzung des Textes sind Regisseure wichtig. Für die Schauplätze, die Gestaltung der Szenenbilder vor der Kamera sowie für den "Look", das Gesicht des Filmes sind Szenenbildner und Kameraleute verantwortlich. Der Kostümbildner hilft dem Schauspieler, seine Rolle zu finden und trägt nicht unwesentlich zur Bildwirkung bei. Die Töne wollen aufgenommen, die Musik komponiert, das belichtete Material will geordnet und ge-schnitten werden. Hierzu sind Komponisten, Tonmeister und Cutter notwendig. Dies, der kreative Nukleus, die Gruppe der „Head of Departments“, der Leiter der ver-schiedenen Abteilungen sind auch die beteiligten Künstler, denen das Werk zuge-schrieben werden sollte.

Der Film speist sich aus vielen klassischen Künsten. Aus der Erzählung, der Literatur, der Architektur, der Malerei, dem Theater, der Inszenierung und dem Schauspiel, der Musik, auch aus moderneren Künsten, der Fotografie und dem Schnitt. Diese Quellen der Filmkunst sind das Fundament der kreativen Gestaltungsprozes-se.

Recht komplex. Eine Folge davon ist eine komplexe Rechtesituation. Wer ist eigentlich Urheber? Und wer Miturheber? Diese im Moment sehr umstrittenen Fragen müssen Lösungen entgegen gebracht werden. Sie sollten die Produktion nicht belasten. Man kann vielleicht verstehen, dass es sehr schwierig ist, einen wirklich guten Film zu machen.

Vergleichen möchte ich diese Abhängigkeit des Ganzen vom Einzelnen mit dem Olympiazeltdach von Frei Otto und Behnisch. Wenn ein Masten nicht hält, was er halten soll, so fällt das Ganze zusammen. Das ist bei zu vielen unserer Filme der Fall.

Sinngemäß rechne ich deshalb auch alle die Künstler, die zum Film in der Art beitragen, dass ihr Beitrag sinnlich wahrgenommen werden kann, zu den Filmautoren. Hierzu ein Zitat von Andrej Tarkowskij:
"Wenn in einer Gemeinschaft eine echte schöpferische Atmosphäre aufkommt, wird es völlig unwesentlich, wer eigentlich der Urheber dieser oder jener Idee war . . . .Daher ist es nicht möglich, von einer dominierenden Rolle des Kameramannes, des Regisseurs oder des Filmarchitekten zu sprechen: Die gefilmte Szene wird einfach zu etwas Organischem, das heißt, hier verschwinden aller Ehrgeiz und alle Eigenliebe." (Die versieglte Zeit S. 159)

Um nun von Hitchcock zu lernen, wollen wir folgendes festhalten: man muss die "Bildsprache verstehen" und die "filmische Weise" etwas zu erzählen kennen.
Was Hitchcock darunter versteht, können uns weitere Zitate erklären:

"es war voller Ideen (das Drehbuch), aber sie waren nicht genug geordnet und nicht mit genügender Sorgfalt ausgewählt. Ich habe den Eindruck, das alles hätte vor den Dreharbeiten gereinigt und straff redigiert werden müssen. Das beweist nur, dass ein Haufen Ideen noch nicht genügt, um einen gelungenen Film zu kombinieren, wenn sie nicht mit genügender Sorgfalt und einem absoluten Formbewusstsein dargestellt werden." (S. 215)

"Alle möglichen Inszenierungsprobleme werden vor Drehbeginn mit Hilfe von Zeichnungen gelöst, um Unannehmlichkeiten und Enttäuschungen zu vermeiden." (S. 253)

"Ich halte es für entscheidend, dass man sich der Dinge bedient, die eng mit den Personen und den Orten der Handlung verbunden sind, und ich habe das Gefühl, etwas zu vernachlässigen, wenn ich auf sie verzichte.

- Unter diesem Aspekt ist die Exposition des Filmes (Rear Window) ausgezeichnet. Es geht los mit dem schlafenden Hof, dann gleitet die Kamera auf James Stewarts schweißgebadetes Gesicht, schwenkt über sein Gipsbein, dann auf einen Tisch, auf dem ein zerbrochener Fotoapparat liegt und einen Haufen Zeitschriften, und an der Wand sieht man Fotos von sich überschlagenden Rennwagen. In dieser Bewegung erfährt man sofort, wo man ist, wer die Person ist und was passiert ist.

- Das heißt, die Mittel zu verwenden, die im Kino zur Verfügung stehen, um eine Geschichte zu erzählen. . . ." (e.d. S. 215)

Hitchcock meinte also, dass die Inszenierungsfragen mit Hilfe von Zeichnungen vor Drehbeginn geklärt werden müssen, und dass man die "filmischen Mittel", die Räume, den Blick auf den Hof, die Requisiten einsetzen muss, um eine Geschichte im Kino zu erzählen.






Leider steht einer professionellen Arbeit bei uns die Fiktion "Autorenfilm" als Werkschöpfung eines einzelnen Schöpfers im Wege. Dies war beim Spielfilm nie möglich. Selbst Rainer Werner Fassbinder, den man vielleicht als den einzigen deutschen Autorenfilmer mit einer gewissen Berechtigung bezeichnen könnte, hatte ein herausragendes Team und großartige künstlerische Mitarbeiter um sich. Auch er, ein wahrer Berserker, hat seine Mitarbeiter aus den Zeiten des Antitheaters gebraucht, und sie haben viel Wertvolles zu seinen Filmen beigetragen. Genies sind die Ausnahme. Die Regel für jede Filmförderung muss eine professionelle und kommerziell erfolg-reiche Produktion sein, die sich an den Möglichkeiten des Mediums zur Kommunikation mit dem Zuschauer orientiert. Nur so können wirtschaftliche Grundlagen entwi-ckelt werden, die dann auch wieder künstlerisch anspruchsvolle Arbeiten für kleinere Zielgruppen erlauben.

Wie könnten wir dies erreichen?

In der heutigen Situation lebt es sich offensichtlich recht angenehm auf dem Polster der Subventionen, zumindest für einige. Handelsumsatz und Gewinnmitnahmen werden eingerechnet. Ob der Film ins Kino kommt, ob er ein Publikum findet, spielt kaum mehr eine Rolle.

Nur der, der Filme finanziert kann Forderungen stellen und durchsetzen. Deshalb sollte dringend ein abgestufter Forderungskatalog aufgestellt werden, damit Ent-scheidungen, die ausschließlich auf Texten beruhen, ergänzt werden durch bildhafte Entwürfe. Die Drehbuchförderung und die Projektförderung sollte in einzelnen Punkten ergänzt werden durch die Förderung eines visuellen Bildentwurfs. Die not-wendigen Forderungen im einzelnen:

1. Jedes Drehbuch sollte vor Drehbeginn Angaben zu den Kameraeinstellungen enthalten. Man nannte das früher ein "eingerichtetes Drehbuch", im englischen ein "shooting script".

2. Das Buch muss korrekt gestoppt sein. Bevor man sich in das große Abenteuer einer Produktion wirft, sollte man wissen, wie lang die Wurst wird.

3. Zu jedem Drehbuch sollten vor Drehbeginn Entwürfe, (farbige) Perspektiven der Hauptschauplätze gezeichnet werden.

4. Zu den Schlüsselszenen sollte ein Storyboard gezeichnet werden. Stunt und Spezialeffekte verlangen unbedingt ein Storyboard.

5. Für die Hauptrollen müssen Kostümentwürfe angefertigt werden.

Für diese Umsetzung in Bilder, eine wichtige weitere Bearbeitung des Drehbuchs, sollten extra Fördermittel bereitgestellt werden. Also, auf Prof. Klaus Keil, Rolf Bär und Dr. Klaus Schäfer, ändert die Förderregularien. Es soll ermöglicht werden, dass, mit wenig Geld, vielleicht 5 – 10 % der vorhandenen Mittel, die Entwürfe zu Filmprojekten, gefördert werden. Wir werden sehen ob dies der künstlerischen Qualität und dem wirtschaftlichen Erfolg der Filme weiter hilft.

Die eindrucksvolle Hein Heckroth Ausstellung im Frankfurter Filmmuseum hat gezeigt, wie perfekt Filme vorbereitet werden können. Zu dem Film DIE ROTEN SCHUHE (1956) wurden farbige Entwürfe gezeichnet, diese wurden auf 35mm Film aufgenommen, geschnitten und vertont. Damit gingen Regisseur und Szenenbildner zum Produzenten und haben erklärt: so sollen die Szenen aussehen. Der Film hat einen Oscar gewonnen. Heute nennt man das ein Animatic. Viele Werbefilme und Industriespots verwenden Animatics zur Definition des Angestrebten vor Drehbeginn.

Ganz so weit muss man vielleicht nicht immer gehen, aber sich etwas mehr anstrengen, sich etwas besser vorbereiten, hat noch keinem Film geschadet.

Auch zeitgenössische Filme, wie DIE FABELHAFTE WELT DER AMELIE, Szenen-bild Aline Bonetto, oder DER PIANIST, Szenenbild Allan Starski, und HARRY POTTER, Szenenbild Stuart Craig, haben ihren Erfolg u einem guten Teil einer her-ausragenden Bildgestaltung zu verdanken.

Es gilt diese hohe Qualität in der Gestaltung der Bilder anzustreben. Das heißt: die FFA und die anderen Filmförderungsinstanzen müssen zur Kenntnis nehmen, dass ein Filmentwurf nicht nur aus Texten besteht, sondern auch aus Bildentwürfen. Selbstverständlich sollten auch wieder Schauspielerproben die Regel werden. Es ist schlicht unverständlich, warum manche meinen, dass ausgerechnet der Film, ein Werk, das in der Regel nicht chronologisch aufgenommen wird, ohne Proben aus-kommen soll.

Zum Schluss noch ein Zitat:
"Ich gebe doch immer damit an, dass ich beim Drehen nie ins Drehbuch schaue. Ich kenne den Film ganz und gar auswendig. ich habe Angst davor im Atelier zu improvisieren, weil, selbst wenn man im Augenblick Ideen hat, bestimmt keine Zeit bleibt nachzuprüfen, was sie taugen. Zu viele Arbeiter, Beleuchter, Mechaniker sind drumherum, und bei überflüssigen Ausgaben bekomme ich ein schlechtes Gewissen. Ich könnte das nicht, was andere Regisseure machen. Sie lassen ein ganzes Team war-ten und setzen sich hin, um zu überlegen. Nein, das könnte ich nicht" (e.d. S. 281)

Und noch eins:
„Wenn in dieser Gemeinschaft eine echte schöpferische Atmospäre aufkommt, wird es völlig unwesentlich,wer eigentlich der Urheber dieser oder jener Idee war, wer ...auf jenen hervorragenden Lichteffekt kam, oder wem es als erstem einfiel, einen Gegenstand aus einem besonderes günstigen Blickwinkel aufzunehmen. Daher ist es wirklich nicht möglich, von einer dominierenden Rolle des Kameramannes, des Regisseurs oder Filmarchitekten zu sprechen: Die gefilmte Szene wird einfach zu etwas Organischen, das heißt, hier verschwinden aller Ehrgeiz und alle Eigenliebe.“ Andrej Tarkowskij, DIE VERSIEGELTE ZEIT

Abschließend. Die rechtlichen Fragen der Beteiligung der Filmmiturheber sollten, wie es das Gesetz verlangt, möglichst redlich und angemessen gelöst werden . Es gilt Regel zu finden, die es allen Beteiligten erlauben sich wieder kongenial, das heißt partnerschaftlich, der Arbeit am Filmwerk in einer geordneten Art zu widmen.

Toni Lüdi


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